Minter

 

Die Warschauer Geschichte der Familie Minter begann mit Wilhelm Heinrich Minter (1777–1832) – von Beruf Architekt und Ingenieur, Oberst des Ingenieur-Korps der Armee des Herzogtums Warschau und der Polnischen Armee des Königreich Polens. Er war der Sohn von Michael Christoph Minter, einem Beamten der Salzverwaltung in Stettin, und Johanna Elisabeth, geb. Kräuter.


Seine Ausbildung zum Baumeister für Armee- und Befestigungsbauten erhielt Heinrich Minter im Potsdamer Kadettenkorps. Um das Jahr 1800 wurde er nach Warschau entsandt, um Renovierungsarbeiten an militärischen Bauobjekten zu beaufsichtigen. Wie sich herausstellte, war er nicht nur ein guter Baumeister, sondern auch ein fähiger Architekt. Er entwarf zahlreiche Gebäude für die militärische und zivile Nutzung. Darunter waren bahnbrechende Entwürfe auf dem Gebiet der polnischen Industrie- und Handelsarchitektur, die den Beginn einer rein funktionalen Architektur markierten. Wie viele seiner Landsleute blieb er auch nach dem Abzug der Preußen aus dem Herzogtum Warschau (Frieden von Tilsit 1807) in Warschau. Seine Fähigkeiten zogen sehr bald die Aufmerksamkeit des Fürsten Józef Poniatowski auf sich. Ganz zweifellos hatte es Minter vor allem dessen Fürsprache und Förderung zu verdanken, dass er im Jahre 1810 in das Ingenieurkorps der Armee zunächst des Herzogtums Warschau und später des Königreich Polens aufgenommen wurde. Dort diente er mehr als 20 Jahre lang und wurde in dieser Zeit vom Hauptmann zum Oberst befördert. Die Tätigkeit in der verantwortungsvollen Position des Baudirektors für militärische Bauwerke brachte ihm zahlreiche Auszeichnungen ein. Als Adjutant des Fürsten Józef Poniatowski nahm er am Feldzug von 1813 teil und erhielt dafür das Goldene Kreuz des Ordens Virtuti Militari.


Der langjährige Aufenthalt in Warschau, der Dienst in der polnischen Armee und schließlich die Ehe mit der Polin Krystyna Rzempułowska verbanden Wilhelm Heinrich mit der polnischen Gesellschaft. Diese Bande wurden erst während des Novemberaufstands im Jahr 1830 auf die Probe gestellt, als Minter sich den Aufständischen anschließen wollte. Dies verhinderte ein Boykott der ihm untergegebenen Offiziere, die „keinem Deutschen dienen wollten“. Minters Vorgesetzter, der General Klemens Kołaczkowski, hielt später dazu fest: „Diesem in jeder Hinsicht würdigen Offizier war nichts vorzuwerfen, außer dass er ein Deutscher war. Als er von der Abneigung erfuhr, die gegen ihn aufkam, zog er sich aus eigenem Antrieb zurück, und kurz darauf setzten Kummer und Sorge seinem Leben ein Ende.“


Minter wurde im Familiengrab auf dem evangelisch-augsburgischen Friedhof in Warschau beigesetzt.


Neben zahlreichen eigenen Entwürfen hinterließ er eine umfangreiche Sammlung architektonischer Zeichnungen von Gebäuden aus der Epoche von König Stanislaus August Poniatowski. Diese wertvolle Kollektion blieb bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts im Besitz der Familie Minter. Danach gingen Teile in verschiedene staatliche und private Bestände über. Heute ist die Sammlung zerstreut, bedeutende Teile befinden sich im Alten Staatsarchiv Warschau (AGAD), im Warschauer Nationalmuseum sowie vor allem im Kupferstichkabinett der Warschauer Universitätsbibliothek (der sog. Minter-Nachlass).


Wilhelm Heinrich Minter hatte keine Kinder, holte aber seine Geschwister nach Polen. Seine ältere Schwester Wilhelmine (geb. 1775) tat sich nicht in besonderer Weise hervor und starb ledig am 15. November 1843. Die jüngere Schwester Henriette war eine talentierte Malerin. Sie war zunächst bei Peter Schmidt in Stettin in die Lehre gegangen, nach ihrem Umzug nach Berlin im Jahre 1805 wurde der damals berühmte Blumenmaler und Direktor der Königlichen Porzellan-Manufaktur Gottfried Wilhelm Volker ihr Lehrmeister. Seit 1811 lebte Henriette in Warschau und lernte bei Antoni Brodowski. 1813 heiratete sie Johann Gottlob Wilhelm Beyer (gest. 1819), den Leiter der Staatlichen Lotterie-Direktion, und trat dafür vom lutherischen zum calvinistischen Glauben über. Das Ehepaar Beyer hatte drei Söhne: Wilhelm Stanisław war Ingenieur, Baumeister und Zeichner, Henryk war als Rechenmeister in der Steuerkammer tätig. Der bekannteste Sohn war Karol, ein herausragender polnischer Fotograf, Archäologe und Münzsammler. Nach dem Abschluss des Warschauer Gymnasiums war er eine Zeitlang in der Fabrik des Bruders seiner Mutter tätig, die Metallabgüsse produzierte.


Nach dem Tode ihres Ehemannes widmete sich Henriette Beyer der Malerei und nahm an allen damaligen Ausstellungen in Warschau teil. Ihre Bilder, zumeist Stillleben, signierte sie mit der Unterschrift: Hka Beyer. 1824 eröffnete sie in der Senatorska-Straße die erste Warschauer Malerei-Schule für Frauen, die sie viele Jahre lang leitete. Henriette starb am 24. Oktober 1855 und wurde auf dem evangelisch-reformierten Friedhof in Warschau beerdigt.


Als letzter der Geschwister Minter kam Karl Friedrich Minter (1780–1847) im Jahr 1822 nach Warschau. Er war seit 1811 mit Johanna Julianna Grohse (1782–1855) verheiratet. Karl Friedrich war ein anerkannter Maler, der in Kopenhagen studiert und während eines mehrjährigen Aufenthalts in Berlin aktiv am dortigen künstlerischen Leben teilgenommen hatte. Sein Metier waren Miniaturen und Portraits in Öl.


In Warschau widmete er sich zunächst der Lithographie und leistete damit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Graphik in Polen. 1824 übernahm Karl Friedrich Minter die Lithographische Werkstatt der Kommission für Religiöse Bekenntnisse und Öffentliche Aufklärung. Das sog. Lithographische Schulinstitut stellte vor allem Bilder und Illustrationen für Schulbücher her.


Karl Friedrich Minter leitete das Institut bis 1826, war aber auch weiterhin privat tätig. Aus dieser Zeit stammen zahlreiche Zeichnungen, vorwiegend religiöser und mythologischer Thematik, aber auch mit weltlichen Motiven. Besonders erwähnenswert ist die Sammlung von Portraits bekannter Persönlichkeiten aus der Zeit der Herrschaft des Königs Stanislaus August von 1826, die dem Grafen Stanisław Grabowski gewidmet ist, dem damaligen Minister für Glaubensfragen und Öffentliche Bildung.


Karl Friedrich Minters herausragendste Leistung auf dem Gebiet der Lithographie war seine Mitarbeit an der Erstellung einer topographischen Landkarte des Königreichs Polen, die seit 1822 im Auftrag der Staatlichen Kriegskommission von Offizieren der Generalquartiermeisterei erarbeitet wurde. Die Anfertigung dieser Landkarte nahm insgesamt fast 15 Jahre in Anspruch und wurde im Juli 1843 beendet. 1828 wurde Minter Mitglied der Warschauer Kaufmannsvereinigung und eröffnete eine Fabrik für Metallabgüsse. Die Fabrik befand sich an der Świętokrzyska-Straße, wo in den Jahren 1823–1826 in der Verlängerung der Szpitalna-Straße und der Warecki-Straße ein rechteckiger Platz errichtet worden war (heute befindet sich dort die Polnische Nationalbank). Auf demselben Grundstück wurde auch ein stattliches Bürgerhaus errichtet, in dem Minter mit seiner Familie wohnte. Die Fabrik bestand aus neun einzelnen Werkstätten: Brünieranlage, Karosseriewerkstatt, Zinngießerei, Kesselschmiede, Schmiede, Lackiererei, Tischlerei, Schlosserei und Drechslerei. Die Belegschaft bildeten in Berlin ausgebildete Handwerker.


Karl Friedrich Minter starb am 2. Februar 1847 in Warschau und wurde in der Familiengrabstätte der Familie Minter auf dem evangelisch-augsburgischen Friedhof bestattet. Sein Sohn Karol Juliusz Minter (1812–1892), ein Warschauer Industrieller und Schulfreund von Frédéric Chopin, studierte nach dem Abschluss des Warschauer Gymnasiums am Polytechnischen Institut, das während des Novemberaufstands 1830 von der Regierung des Zaren geschlossen wurde.


1835 übernahm Karol Juliusz den Betrieb seines Vaters, der kirchliches Gebrauchsgut und sog. Gebrauchs- und Kunstgalanterie herstellte. Unter seiner Leitung wurde der Betrieb zum größten Produzenten derartiger Gegenstände im Russischen Reich. Er war auf die Fertigung von Medaillen mit den Portraits berühmter Polen spezialisiert, die von herausragenden Handwerkern entworfen wurden, wie zum Beispiel Jakub Tatarkiewicz und Henryk Stattler. 1836 heiratete Karol Juliusz Ludwika Czarnecka (gest. 1894), aus der Ehe ging der Sohn Stanisław Karol (1851–1904) hervor. Nach der Niederschlagung des Januaraufstands 1863/64 ging die russische Staatsmacht restriktiv vor; Minters Fabrik produzierte nun vorwiegend Zinn- und Emaille-Geschirr sowie Küchenutensilien. Erneut war sein Unternehmen das größte seiner Art im Russischen Reich. 1881 verkaufte er die Fabrik an die Warschauer Aktiengesellschaft „Wulkan“ und ließ sich auf dem um 1870 erworbenen Landgut Gołoszyce im Kreis Opatów bei Kielce nieder, wo er am 4. August 1892 starb. Er wurde auf dem evangelisch-augsburgischen Friedhof in Warschau beerdigt. Dort ruhen auch sein Sohn Stanisław Karol (1851–1904) sowie sein Enkel Zygmunt Karol (1883–1920), der letzte Vertreter der Familie. Zygmunt Karol war Unterleutnant der Schlesischen Ulanen und Träger des Ordens Virtuti Militari. Er fiel im polnisch--sowjetischen Krieg (1919–1921) bei Malinówka in der Region Suwalki. Ein entfernter Verwandter der Familie Minter, Maciej Kucharski, ist heute Eigentümer der Warschauer Firma Minter Polska, die sich auf technische Dichtungen für die Industrie spezialisiert hat. Der Name der Firma nimmt bewusst auf die Familientradition Bezug. (Mkuch)
 

 

Karol Juliusz Minter, Dagerotyp von Karol Beyer, nach 1845. MKuch

 

Karol Juliusz und Ludwika Minter, geb. Czarnecka, mit ihren Kindern. Dagerotyp von Karol Beyer, 1846–1847. MKuch

 

Ludwika Minter, geb. Czarnecka mit ihren Kindern, Dagerotyp von Karol Beyer, 1848–1849. MKuch

 

Karol Juliusz und Ludwika Minter, geb. Czarnecka mit ihren Kindern und Enkeln. In der dritten Reihe steht als 2. von links Stanisław Karol Minter,...

 

Die Töchter von Stanisław Karol und Aniela Minter, geb. Brun: Stanisława und Ludwika Minter. MKuch