Schweitzer

 

Der Nachname der Familie, der auf die schweizerischen Wurzeln der Vorfahren hinweist, wandelte sich in Deutschland von „Swizzer“ zu „Switzer“ und nahm erst im 17. Jahrhundert die heutige Schreibweise an. Sicher ist, dass der erste Zusiedler der Familie in Warschau eine Gerberei gründete, die sein Sohn Robert Schweitzer – verheiratet mit Augusta Lehmann (1821–1881) – übernahm. Unter seiner Leitung begann jedoch der Niedergang des Unternehmens. Um das Einkommen der Familie zu sichern, begann seine Frau Augusta, Senf nach eigenem Hausrezept herzustellen. Das Geschäft brachte Gewinn ein und wurde schnell zur Haupteinkunftsquelle, die der Familie ein wohlhabendes Leben sicherte. Die erste Produktionsstätte befand sich im Langner-Haus in der Bielańska-Straße 601, wie der „Kurier Warszawski” vom 27. November 1860 berichtet. Später wurde sie in die Królewska-Straße 19 verlagert und am Anfang des 20. Jahrhunderts in die Grzybowska-Straße 9. Hier verblieb die Senffabrik „A. Schweitzer” bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Weil sie sich auf dem Gebiet des Warschauer Ghettos befand, wurde die Fabrik auf Anweisung der deutschen Besatzer in den Stadtteil Mariensztat verlegt.


Vor dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich die Firma u.a. durch den Export nach Russland und Frankreich. Die Besitzer waren: Emil Schweitzer (1844–1920), seine Söhne Adolf (1870–1936) und Karol Emil (1875–1944) und Ende der 1930er Jahre die Söhne von Karol Emil: Alfred (1900–1965) und Karol Wiktor (1902–1986), der nach der Kapitulation Warschaus 1939 als Offizier ins Kriegsgefangenenlager Murnau gelangte. In der Firma ersetzten ihn seine Frau sowie Adolfs Sohn Aleksander, der die Hälfte der Firmenanteile besaß. Letzterer trug sich in die deutsche Volksliste ein. Der Familie gelang es jedoch, seine Anteile aufzukaufen, so dass er keine Rechte an der Firma und ihrem Namen mit dem Firmenlogo mehr hatte. Aleksander Schweitzer begab sich Ende des Krieges nach Linz und kehrte nicht mehr nach Polen zurück.


Nach dem Krieg und der Rückkehr aus dem Lager verlegte Karol Wiktor mit seiner Frau und seinem Bruder die Fabrik wieder nach Wola in die Grzybowska-Straße. Gemeinsam bauten sie die Firma wieder auf und komplettierten den Maschinenbestand, so dass sie die Produktion wieder aufnehmen konnten. 1952 wurde die Fabrik verstaatlicht und anschließend aufgelöst. Den früheren Eigentümern wurde verboten, das Gelände zu betreten. Alfred zog nach Konstancin bei Warschau und stellte bis zu seinem Tod in Heimarbeit Werkzeuge her. Tochter Krystyna (1929–2008) war Absolventin der Warschauer Akademie der Schönen Künste und Tochter Urszula (geb. 1931) erster weiblicher Jockey auf der Warschauer Pferderennbahn. Karol Wiktor hingegen konnte als „Fabrikant“ lange Zeit keine Arbeit erhalten und gelangte schließlich ins Genossenschaftswesen. Sein Sohn Andrzej versuchte nach dem Abitur an der Technischen Hochschule zu studieren. Aber als Sohn eines Fabrikanten und Klassenfeindes wurde er nicht aufgenommen, sondern zur Armee eingezogen und arbeitete dann in einem Kohlebergwerk in Schlesien. Er kehrte mit einem Bergarbeiterorden nach Warschau zurück, so dass er nach der bestandenen Aufnahmeprüfung für ein Abendstudium an der Mechanischen Fakultät der Ingenieurhochschule aufgenommen wurde. Er arbeitete in der Warschauer Motorradfabrik und setzte die familiäre Tradition des Motorradsports fort. Nach dem Studium wirkte er beim Bau eines Staudamms am Fluss San und bei der Errichtung eines Hochwasserdamms an der Weichsel in Leslau (Włocławek) mit, ebenso bei der Errichtung des Zentralbahnhofs in Warschau. Sein Sohn Janusz (geb. 1962), den die Eltern als „unruhigen Geist“ bezeichnen, widmete sich Fallschirmspringen und Hochseesegelsport, und arbeitete zudem für die Freiwillige Bergwacht in der Tatra. In den Jahren 1992/93 versuchte er zweimal, die Firma zu reaktivieren, indem er auf der Grundlage alter Familienrezepte Soßen produzierte. Aus Geldmangel misslangen die Versuche jedoch. 1998 wurde er Anteilseigner der im südostpolnischen Mielec ansässigen „Aero AG“, die Flugzeuge produziert und verkauft. Janusz Schweitzer hat eine Tochter, Ewa (geb. 1986), die Tourismus und Rekreation an der Warschauer Sporthochschule studiert. Sie betreibt beruflich Reitsport und nimmt an Wettbewerben des Vielseitigkeitsreitens teil. Sie ist die letzte Person in der Familie, die noch den Namen Schweitzer trägt. Die Familie hofft, dass sie in Zukunft die Fabrik „A. Schweitzer” reaktivieren und die Produktion wiederaufnehmen kann. (Hsch)

Der Familie entstammt auch Emil Ryszard Schweitzer (1910–1935), der dritte Sohn Emils. Er studierte an der Pilotenschule in Dęblin südlich von Warschau, war Mitglied des Warschauer Sportclubs „Legia“ und ein Pionier des polnischen Motorradsports. 1934 wurde er polnischer Geländemeister. Er kam am 23. Juni 1935 bei dem Versuch, den damaligen Geschwindigkeitsrekord zu brechen, ums Leben.


Auch einer der Söhne von Emil Schweitzer, Alfred, war eng mit dem Sport verbunden. Gemeinsam mit dem Ingenieur Edward Mandelot versuchte er, ein universelles Motorrad zu bauen. Das von ihnen entwickelte Motorrad S.M. 500 wurde erstmals im Jahre 1935 auf der Posener Messe vorgestellt, jedoch hat sich kein Modell bis heute erhalten. (Hsch)
 

 

Emil und Laura Schweitzer am Meer, 1920er Jahre. Asch

 

Karol und Alfred Schweitzer, Söhne von Emil und Laura. Asch

 

Alfred Schweitzer. Asch

 

Karol und Alicja Schweitzer. Asch

 

Karol und Alicja Schweitzer mit ihren Söhnen Andrzej und Tomek, Ferien in Dąbrówka, 1939. Asch

 

Alicja Schweitzer mit einer Freundin zu Besuch in Berlin, Frühjahr 1939. Asch

 

Fabrikhof in Mariensztat während der Besatzungszeit. Asch

 

Großhandelspreisliste der Senffabrik A. Schweitzer, 1938. Asch

 

Andrzej und Tomek vor dem Geschäft der Firma Schweitzer, Królewska-Straße 25, Besatzungszeit. Asch

 

Tomek Schweitzer in Wohnung in der Polna-Straße, Besatzungszeit. Asch

 

Alicja Schweitzer mit den Söhnen Andrzej und Tomek in ihrer Wohnung in der Polna-Straße, Besatzungszeit. Asch

 

Ausgebranntes Wohnhaus in der Polna-Straße 32 mit der zerstörten Wohnung der Familie Schweitzer (4. Stock links), 1945. Asch

 

Urszula (Zula) Schweitzer, erster weiblicher Jockey auf der Pferderennbahn in Warschau. Asch

 

Emil Ryszard Schweitzer. ASch

 

Emil Ryszard Schweitzer. ASch

 

Ewa Schweitzer, Tochter von Janusz Schweitzer. Bild: Marek Zajączkowski. Asch