Klawe

 

Die Familie stammt aus Deutschland, zu Beginn des 18. Jahrhundert siedelte sie nach Westpolen über und ließ sich Anfang des 19. Jahrhunderts in Warschau nieder. Seit den 1820er Jahren tauchen die Gebrüder Klawe in Warschauer Dokumenten auf. 1824–1829 war Jan Henryk Klawe Ältester der Warschauer Bäckerzunft. August Klawe verdiente seinen Lebensunterhalt als Schlossermeister. Ludwik Klawe war ebenfalls Bäcker und besaß als Bürger der Stadt Warschau ein Haus und eine Windmühle in der Mokotowska-Straße. Henryk Klawe wohnte mit seiner Familie in einem Anwesen in der Krochmalna-Straße, wo er eine Brauerei betrieb. Seine Tochter Anna heiratete 1847 Błażej Haberbusch, während Tochter Dorota vier Jahre später Konstanty Schiele ehelichte. Mit den Mitgiften des wohlhabenden Schwiegervaters erweiterten Haberbusch und Schiele ihre Brauerei, die sich in derselben Straße zwei Häuser weiter befand. Sie betrieben sie gemeinsam mit ihrem Schwiegervater, bis jener sich 1865 in den Ruhestand zurückzog. Henryk Klawes Sohn hieß ebenfalls Henryk Klawe (1832–1926), Magister der Pharmazie und Absolvent der Warschauer Hochschule. 1860 gründete er eine Apotheke am Sankt-Alexander-Platz 10 (später Trzech-Krzyży-Platz), die er bis 1920 leitete. Er engagierte sich in der evangelisch-augsburgischen Kirchengemeinde und war für einige Zeit Ältester des Krankenhauskollegs. Er war Mitgründer und zweifacher Vorsitzender der Warschauer Pharmazeutischen Gesellschaft, ab 1912 deren Ehrenvorsitzender.


1906 übernahm der jüngste Sohn Stanisław Adolf Klawe (1877–1955) die Apotheke und das Labor, das im Laufe der Jahre in den hinteren Räumlichkeiten entstanden war. Er initiierte die Massenproduktion der ersten Arzneimittel tierischer Herkunft, wie z.B. Destrin, und stellte während des Ersten Weltkrieges ab 1915 Seren und Verbandsmaterial für das Militär her. Diese Präparate brachten der Firma einen hohen Gewinn ein, so dass das Sortiment um Impfmittel gegen Cholera, Typhus und Pocken erweitert werden konnte.


1920 wurde das Apothekenlabor in die „Chemisch-Pharmazeutische Industriegesellschaft ehem. Mgr. Klawe AG“ umgewandelt und die Apotheke am Trzech-Krzyży-Platz verkauft. Stanisław Adolf Klawe erwarb in der Karolkowa-Straße 22/24 Fabrikgebäude, in die er nach einem Umbau die gesamte pharmazeutische Produktion verlagerte. In den ersten Jahren des Firmenbestehens unterstützen ihn seine Brüder und sein Schwager, da er noch sein Studium abzuschließen hatte (das Pharmazeutikerdiplom hatte er vor dem Krieg in Dorpat erlangt) und seine Doktorarbeit verfasste. Nachdem er die Arzneimittelfabrik in der Karolkowa-Straße mehrfach um- und ausgebaut hatte, stellte sie im Jahr 1939 bereits 53 Präparate her, wobei sie nur mit eigenen Syntheseprodukten arbeitete, zudem: 73 Arzneimittel, 59 biologische Tinkturen, 21 Brausetabletten, 33 Organpräparate, 5 Mineralsalze, 57 Plasmen und Veterinärimpfstoffe, 20 Chemieerzeugnisse, 78 Injektionsflüssigkeiten und 20 Katgutfäden. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erhielt die Firma die Erlaubnis zur Insulinproduktion, mit der 1940 begonnen wurde. Der Betrieb gab drei eigene Monatszeitschriften („Moderne Medizin“, „Veterinärmedizin“, „Pharmazie“) und Kalender heraus. In den 1930er Jahren war die Firma nicht nur einer der wichtigsten Arzneimittelhersteller in Polen, sondern exportierte auch in den Westen, nach Kanada und in den Nahen Osten.


Kurz vor Kriegsausbruch beschäftigte die Firma rund 600 Mitarbeiter, zudem Angestellte auf den privaten Besitzungen Stanisław Klawes in Drwalew und Lasopole in Masowien, wo Rohstoffe für die Fabrik hergestellt wurden. Einige Monate nach Kriegsausbruch übernahmen die Deutschen den Betrieb unter dem Namen „Asid Serum Institut AG Dessau“, Abteilung Warschau, Karolkowastrasse 22/24.


Nach Kriegsende war Stanisław Klawe einer der Ersten, die das Fabrikgelände betraten und mit dem Wiederaufbau begannen. Nach einigen Monaten übernahm jedoch der Staat den Betrieb. Klawe gründete daraufhin ein neues Pharmazielabor in seiner Privatwohnung, das jedoch ebenfalls in Staatsbesitz überging, in seine Wohnung wurden Mieter einquartiert. Die Söhne von Stanisław Klawe, Henryk und Zdzisław, dienten als Soldaten in der Heimatarmee. Dr. hab. Henryk Klawe war Gynäkologe und Geburtshelfer, von Herbst 1939 bis Ende 1991 arbeitete er in Warschauer Krankenhäusern, einige Jahre war er in Breslau tätig. Dr. Zdzisław Klawe war Chirurg und Träger des militärischen Verdienstordens Virtuti Militari für seine heldenhafte Teilnahme am Warschauer Aufstand. Beide Brüder sind inzwischen verstorben. In Warschau leben heute die Töchter von Henryk Klawe, die Historikerin Maria Klawe-Mazurowa und die Krankenschwester Joanna Dąbrowska, sowie der Sohn von Zdzisław, der Kabarettkünstler Stanisław Klawe, Sänger und Dichter der „Solidarność“ und zugleich Autor zahlreicher Unterhaltungssendungen im Polnischen Radio. In Warschau leben und arbeiten auch ihre Kinder. Der zweite Sohn von Zdzisław, der Medizinprofessor Jacek Klawe, lebt mit seiner Familie in Bromberg.


Vor allem in der Warschauer Umgangssprache ist bis heute die Bezeichnung „jest klawo“ – d. h. „es ist gut“ bzw. „tolles Leben“ im Sinne von „ein gelungenes Leben unter guten Bedingungen“ – erhalten geblieben. Dieses Relikt verweist auf die gesellschaftliche Wertschätzung der Produkte der Firma Klawe. (TWŚ)
 

 

Magister Henryk Klawe, Gründer der Apotheke und des Labors, 1926. Reproduktion aus dem „Tygodnik Ilustrowany“ vom 13.3.1926.

 

Emilia Dorota Klawe, geb. Grubert (1850–1940), Ehefrau von Henryk. MK-M

 

Das Haus von Henryk Klawe am Trzech-Krzyży-Platz 10, in der sich die Apotheke befand (1949 wurde das Gebäude verstaatlicht, ca. 1974 abgerissen). APW

 

Hochzeitsfoto von Stanisław Adolf und Janina Klawe, 1918. MK-M

 

Henryk Klawe, Sohn von Stanisław Adolf. MK-M

 

Doktorurkunde von Stanisław Adolf Klawe, verliehen von der Universität Nancy in Frankreich, 1929. MK-M

 

Reklame der Chemisch-Pharmazeutischen Industriegesellschaft ehem. Mgr. Klawe, 1936. MFW

 

 

Verschiedene Arzneimittelflaschen der Firma Klawe. MHW-FW